Warum Mobile Commerce in China so erfolgreich ist

Ob Bahnticket, neuer Fernseher oder das Mittagessen: chinesische Kund*innen bezahlen alles per Handy. Die großen Tech-Konzerne des Landes begleiten die Menschen nahezu durch ihren gesamten Alltag.

Philipp Schaaf (COO)

Angesichts der weltweiten Verbreitung des Internets sollte man meinen, dass wir Menschen mittlerweile das gleiche Einkaufsverhalten an den Tag legen, egal wo wir sind. Die großen Shoppingportale wie Amazon und Co. sind die neuen Kaufhäuser, dort gibt es alles, was der Konsument begehrt. Und doch zeigen sich im Detail immer noch gewaltige Unterschiede, ob nun bei den Bezahlmethoden oder bei den Geräten, die wir nutzen.

Wie groß die Unterschiede sein können, wird angesichts der folgenden Zahlen deutlich: So lag in China 2018 der Anteil des Onlinehandels am ganzen Einzelhandel bei 29,7 Prozent. Das ist mehr als dreimal so viel wie in Deutschland, dort waren es lediglich 8,8 Prozent. Der Abstand dürfte sich laut Schätzung der Analyseplattform eMarketer bis 2023 noch vergrößern. In Deutschland werde der Onlinehandel dann einen Anteil von 10,5 Prozent haben – und in China 63,9 Prozent.

Asien als Mobile-Commerce-Paradies

Der große Unterschied ist aber nicht, dass die Chinesen vor allem im Internet bestellen – sondern welches Gerät sie dafür benutzen. Zwei Drittel der Menschen dort bevorzugen das Smartphone, um online einzukaufen – Kleidung, Lebensmittel, den nächsten Urlaub. In den meisten europäischen Ländern sind das lediglich ein Drittel der Konsumenten. Teilweise noch höher als in China sind die Werte in anderen südostasiatischen Ländern, etwa Indonesien, Thailand und den Philippinen. Was aber läuft dort anders als bei uns?

Der Hauptgrund für den Siegeszug des Mobile Commerce in der Volksrepublik sind die Tech-Champions des Landes. Da ist zunächst Tencent: Der Internetkonzern aus der 12,5 Millionen Einwohner Metropole Shenzhen ist das chinesische Pendant zu den Giganten aus dem Silicon Valley. Die Firma ist heute vor allem für ihren Dienst WeChat bekannt. Die App begann als reine Messenger-App und integrierte später eine Wallet – also eine Möglichkeit, Geld digital zu speichern und später damit zu bezahlen. Mittlerweile lässt sich mit der App nicht nur in fast allen Online-Shops Chinas bezahlen. Mit ihren sogenannten „Mini Programs“ wird WeChat selbst zur Shopping-Plattform und stellt für Online-Händler einen eigenständigen Verkaufskanal dar.


Der Unterschied zu Amazon oder anderen Shopping-Apps: Die Anwendung an sich ist nicht nur auf das Einkaufen im Internet ausgelegt, sondern so tief in das tägliche Leben der Chinesen eingewoben wie die tägliche U-Bahn-Fahrt oder das Mittagessen mit den Kollegen. Ob es darum geht das Abendessen, ein Taxi oder die Hotelrechnung zu bezahlen, einem Freund Geld zu schicken oder Online-Accounts aufzustocken, das alles kann die App leisten. Ihr grünes Symbol findet sich in China heutzutage fast überall, selbst in Bussen und Bahnen. Die Transaktion wird meist per QR-Code abgewickelt – entweder scannt der Händler den Code des Kunden oder andersherum. WeChat ist damit ein nahezu perfektes Ökosystem, dass seine 800 Millionen Nutzer so gut wie gar nicht verlassen müssen.

Tencent beherrscht rund 40 Prozent des Mobile-Payment-Marktes in China. Neben WeChat sorgt dafür auch der Tenpay-Dienst, ein mit PayPal vergleichbares Angebot. Damit steht die Firma nur einem Konkurrenten nach, Alipay. Der Paymentdienst wurde 2004 vom chinesischen Onlinehändler Alibaba gestartet. Der E-Commerce-Gigant bedient mit seinem Bezahldienst etwa 54 Prozent des chinesischen Marktes. Seit 2013 gilt Alipay als größter Mobile-Payment-Dienst der Welt. Der Erfolg liegt auch hier daran, dass das Bezahlsystem in eine bestehende Plattform integriert wurde. Zu den wichtigsten Diensten Alibabas gehören u.a. Taobao Marketplace (Chinas größtes C2C-Shopping-Netzwerk) und TMall (Chinas größte B2C-Plattform). Die großen Nutzerzahlen und Marktanteile bringen Investoren zum Träumen: beim Börsengang an der New York Stock Exchange 2014 konnte Alibaba gut 25 Milliarden US-Dollar einsammeln, der größte Börsengang der Geschichte bis zum damaligen Zeitpunkt. Auch die Tochter Alipay – mittlerweile in Ant Financial umbenannt und als wertvollstes Fintech der Welt geltend – soll 2020 an die Börse, Analysten rechnen mit weiteren 20 Milliarden Dollar Einnahmen.

Da die Kund*innen auf den Angeboten der Alibaba Group sowieso Geld ausgeben, lag es nahe, einen eigenen Bezahldienst zu etablieren, der für alle Transaktionen auf der Seite genutzt werden konnte. Ähnlich wie bei WeChat können Nutzer mittlerweile auch mit Alipay nahezu alles bezahlen, selbst die Wasser- oder Stromrechnung beim lokalen Netzbetreiber. Der Dienst ist in vielen Ländern Asiens verfügbar, etwa in Südkorea und Japan. Selbst in Europa gibt es erste Gehversuche, zum Beispiel in Italien, Großbritannien sowie Deutschland – aktuell ausschließlich für die Zielgruppe chinesischer Touristen, wie der Konzern regelmäßig betont.

Europa wird nicht zwangsläufig folgen – Unternehmen müssen sich breit aufstellen

Diese perfekte Symbiose mit existierenden, schon sehr erfolgreichen Apps und die Integration von komfortablen Mobile-Payment-Systemen ist der wohl wichtigste Erfolgsfaktor für Mobile Commerce in China – und gleichzeitig der Grund, warum sich die Methode in Europa bisher noch nicht durchgesetzt hat. Denn da müssen sich Menschen, die per Handy bezahlen oder einkaufen wollen, meist noch eine extra App herunterladen. Das ist unkomfortabel. Und da die Kund*innen immer den einfachsten Weg gehen, stagniert Mobile Commerce in Europa vielerorts noch. Würde etwa eine so weit verbreitete App wie WhatsApp eine Bezahlfunktion einführen, dürfte das dem Bezahlen per Mobiltelefon einen Schub geben. Der Facebook-Dienst experimentiert bereits damit, Pilotprojekte starteten dieses Jahr in Brasilien und Indien.

Ob das Bezahlen per Handy in einem Land wie Deutschland jemals ähnlich normal wie in China sein wird, ist unklar. Es wäre naiv zu glauben, dass sich alle Länder gleich entwickeln. So nutzen westliche Anbieter wie Google und Apple zum Beispiel mit ihren Paymentdiensten die Infrastruktur der Kredit- und Girokarten, ein anderer Ansatz als bei den chinesischen Techkonzernen. Gut möglich, dass sich in Europa und in Deutschland in Zukunft eine ganz andere Art des Bezahlens durchsetzen wird. Vielleicht wird Voice-Commerce der nächste Evolutionsschritt in Deutschland, die Wachstumsraten der vergangenen Jahre sind beachtlich. Die Firmen müssen daher ihre Vertriebswege und Bezahlmodelle dem jeweiligen Markt anpassen. Lokale Expertise ist auch in den kommenden Jahren unverzichtbar.

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